Der Mensch – „ein Bergwerk reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert“
Im 20. Jahrhundert erhob sich binnen weniger Jahrzehnte der Glaube an die technische Phantasie und die technische Machbarkeit zu Höhen, die Menschen früherer Jahrhunderte als reine Phantasterei, bar jedes Realitätssinns abgetan hätten.
Der Glaube an die Wissenschaft und Technik ist ein fester Antriebsmotor der menschlichen Entwicklung geworden. Der Glaube an die Machbarkeit technischer Revolutionen ist fest etabliert, stark und unerschütterlich.
Dem steht jedoch ein erschreckender Mangel an Glauben gegenüber, die neuen Möglichkeiten des Menschen auch erfolgreich zu dessen tiefen Humanisierung einsetzen zu können. Mit erbarmungsloser Härte wird argumentiert, ein solcher Glaube sei widernatürlich, entbehre jeder realen Grundlage.
In scharfem Kontrast dazu steht die Botschaft Bahá’ulláhs [1]. Er verkündet einen Glauben an den Menschen, wie er radikaler und herausfordernder kaum vorstellbar ist. Er ruft die Menschen dazu auf, sich selbst und gegenseitig als „Bergwerke, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert“ zu betrachten, und mit diesem Bewusstsein den unerschöpflichen Reichtum an inneren Werten und Welten im Menschen zu entdecken und zu Tage zu fördern.
Doch an den Eintritts-Toren zu diesen Welten einer Humanisierung des individuellen wie des gesellschaftlichen Lebens steht eine Entscheidung – letztlich eine Glaubensentscheidung.
- Glaube ich daran, dass ich mit einer geistigen Haltung neue Möglichkeiten und neue Ziele erschliessen kann?
- Glaube ich daran, dass ich durch Suche, Meditation und mutvolle Taten meine geistigen und sozialen Kräfte täglich verbessern kann?
- Glaube ich daran, dass wir auch im sozialen Bereich Probleme zu echtem Fortschritt umschmieden können?
Das grösste Hindernis auf diesem Weg ist die innere Entscheidung, daran nicht zu glauben. Die Haltung „Ich glaube nur, was ich sehe“ blockiert den Weg zum noch nicht Erschlossenen.
Wird das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert des Glaubens an die Menschlichkeit?
Wird die Botschaft Bahá’ulláhs erhört und vielleicht in absehbarer Zeit einen ebenso selbstverständlichen Glauben an den Menschen wie heute an die Technik hervorbringen?
Vielleicht werden wir überrascht sein, wie wenig wir unsere bisherigen Wahrnehmungsgewohnheiten überschreiten müssen, um die Worte Bahá’ulláhs als glaubensstiftend zu erfahren, einen Glauben an die Nähe und Realität der hier beschriebenen menschlichen Wirklichkeiten, einen Glauben an Humanität, wie sie jedem Mensch als innere Sehnsucht vertraut ist.
Treten wir wenigstens für eine Weile, als eine Art geistiges Experiment, aus unserem alltäglichen Skeptizismus gegenüber dem Glauben an unsere eigene Humanisierbarkeit heraus. Lassen wir uns einmal etwas tiefer und etwas anders als gewohnt ein auf das Abenteuer der Machbarkeit von spürbar mehr Humanität. Was hätten wir dabei zu verlieren?
Vielleicht erweist sich unser alltägliches Leiden an den zahlreichen inhumanen Aspekten unseres Lebens durch dieses Wagnis als ähnlich veränderbar wie zuvor unsere Welt durch den Glauben an die technische Machbarkeit.
(Aus dem Vorwort zum Buch „Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert“, Bahá’í-Verlag Hofheim/Ts, 2000)
[1] Baha’ullah ist der Stifter der Bahá’í Religion